Wie eine Geschichte aufbauen? Wie eine Figur lebendig gestalten? Welche Formulierungen meiden, welche nutzen? Als ich anfing zu schreiben, vertraute man hierzulande noch auf Talent und Gabe, und solche Fragen wurden abgetan mit den Worten: Das kannst du halt nicht. Wie frustrierend. Schon damals schielte ich nach Amerika, wo man in Creative-Writing-Seminaren den pragmatischen Ansatz pflegte: Schreiben kann man lernen. Ach, echt jetzt?, dachte
ich, und ließ mir Schreibguides aus den USA mitbringen. Auch wenn mir vieles zunächst zu planvoll erschien, – die Hollywood-Dramaturgie, die Heldenreise, die kernigen Dialoge – und ich die Kreativität vermisste, musste ich einräumen, dass alle mindestens einen Rat hatten, der mich weiterbrachte. Seitdem liebe ich Schreibratgeber. Ja, ich bin, gerade wenn ich verunsichert bin, und das soll bei Autor*innen ja vorkommen, immer so hinter diesem einen kleinen, weiterführenden Impuls her, dass ich selbst, als ich schon einen Vertrag für einen 500-Seiten-Roman in der Tasche hatte, noch mal einen VHS-Kurs belegt habe. Ob Schreibratgeber wirklich etwas bringen? Ja, Spaß und das gute Gefühl, immer noch etwas lernen zu können. Hier eine Auswahl.
„Leben, Schreiben, Atmen: Eine Einladung zum Schreiben” von Doris Dörrie (2021)
Wer ist die Autorin und warum sollte man ihr ihren Rat abnehmen? Wer an Doris Dörrie denkt, denkt an ihre preisgekrönten Filme. Dabei ist sie mit ihren knapp 30 Büchern, Essays und Kurzgeschichten nicht minder erfolgreich. Ernst-Hoferichter-Preis, Bettina-von-Arnim-Preis, Deutscher Bücherpreis; Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland, Dozentin für Creative Writing und Stoffentwicklung an der Filmhochschule München.
Was rät sie? Ihr Buch ist Ratgeber und Memoir in einem. Jedes Kapitel beginnt mit einer persönlichen Geschichte und endet mit einer Schreibübung, die unbedingt handschriftlich verfasst werden sollte. Denn, so Dörrie: „Weil die Hand wir selbst sind, die direkte Verbindung von unserem Kopf in die Hand“ und es zudem eine „sinnliche Erfahrung“ ist. Sie fordert auf: „Schreib über Lügen. Hast du als Kind wenig oder viel gelogen? Gar nicht gelogen? Wirklich?“ Oder: „Schreib über das Kleidungsstück, das du als Kind hattest.“ Überhaupt geht es viel um Kindheit und Erinnerungen. Dieses Prinzip des „mémoire involontaire“, der unwillkürlichen Erinnerung, hat sie bei Marcel Proust geborgt. Super! Es geht nur darum, ins Schreiben zu kommen. Und natürlich benennt sie neben all den Kirsch-, nein Schreibblüten auch ihre Dämonen. Bei ihr heißen sie: 1. Ich bin zu blöd, 2. Ich bin zu uninspiriert usw.
Was bringt es? Man schreibt, lebt, und atmet. Und wenn man fertig ist, kann man stolz auf sein vollgeschriebenes Übungsbuch sein. Eine gutes Basis, um gleich weiterzumachen.
„Über das Schreiben” von Sol Stein (1995)
Wer ist der Autor und warum sollte man ihm seinen Rat abnehmen? Sol Stein ist ein US-amerikanischer Schriftsteller. Im Klappentext steht über ihn: „Der Meisterlektor“. Er ist Dozent für kreatives Schreiben. Hat mit Tennessee Williams und George Orwell gearbeitet. Wie genau, wird nicht ganz klar.
Was rät er? Sein Credo: Ego ablegen und immer das Publikum im Blick behalten. Der Leser (und die Leserin) muss in Atem gehalten werden. Wie? In seinem 450 Seiten starken Buch (von 1995) erklärt er, wie man Figuren lebendig gestaltet, wie man Antagonisten schafft, wie man Perspektiven einsetzt und wechselt, wie man Dialoge schreibt. An einer Fülle von Beispielen, die er aufeinander aufbaut, bringt er uns das Handwerk näher und betont immer wieder, wie wichtig es ist, zu üben und zu überarbeiten. Ein Buch, das viele Zitate aufführt – oft von seinen Schülern – und die dann korrigiert werden; Man wünscht sich, die eigenen mehr oder minder geglückten Beispiele würden auch mal von Sol Stein durchleuchtet werden. Vielleicht ist ja noch ein Platz in seinen Seminaren frei.
Was bringt es? Es ist ein solides Nachschlagewerk. Der Erste-Hilfe-Kasten für alle Schreibwütigen.
„Der Weg des Künstlers” von Julia Cameron (1992)
Wer ist die Autorin und warum sollte man ihr ihren Rat abnehmen? Julia Cameron ist Regisseurin, Drehbuch- und Bestsellerautorin. Weltweit bekannt wurde sie durch ihren Schreibratgeber „Der Weg des Künstlers“. Er gehört zu den hundert erfolgreichsten US-amerikanischen Selbsthilferatgebern aller Zeiten.
Was rät sie? Ihr Buch ist ein 12-wöchiger Selbsthilfeworkshop, in dem man sich täglich mit der eigenen Kreativität und mehr noch mit den Blockaden auseinandersetzt, die einen daran hindern, seine Ideen zu verwirklichen. Es ist nicht spezifisch ein Schreibratgeber, sondern gilt vom Töpfern bis zum Tanzen für alle Künstler*innen. Dennoch ist Schreiben eine der Grundtechniken, zu denen sie rät. Unverhandelbar sind die sogenannten „Morgenseiten“. Das sind drei Seiten, die man jeden Morgen – sie macht es nach dem Frühstück mit Kaffee und Erdnussbuttertoast – handschriftlich niederschreibt. So geht es: Einfach das, was einem durch den Kopf geht, in Wort fassen – und dann nie, nie wieder anschauen. Und nie jemandem zeigen. Der Gedanke, der dahintersteckt: Man räumt seiner Schaffenskraft Zeit ein, und wer das bei den Morgenseiten kann, der kann es auch für sein Buch, Theaterstück oder Filmscript.
Was bringt es? Es hilft, Blockaden und falsche Glaubenssätze zu überwinden und in den Flow zu kommen.
„Das Leben und das Schreiben” von Stephen King (2000)
Wer ist der Autor und warum sollte man ihm seinen Rat abnehmen? Stephen King hat über 60 Romane und mehr als 100 Kurzgeschichten geschrieben. Sie wurden in über 40 Sprachen übersetzt und weltweit 400 Millionen Mal verkauft. Sein Erfolg und seine Erfahrung machen ihn zu einem wertvollen Ratgeber.
Was rät er? Schreiben. Und nochmals schreiben. King ist ein Autor, der seine Storys aus den Figuren heraus entwickelt. Er weiß selbst nicht, wie es ausgeht. Er schreibt täglich 2000 Wörter. Er rät, viel zu lesen und seinen Wortschatz zu erweitern. Die Physis der Figuren sollten nicht mit intellektuellen Attributen ausstaffiert werden („Seine intelligenten Augen“). Er warnt vor Adjektiven – besonders in Bezug auf das Wort „sagen“. Er sagt: Die erste Version sollte man ganz für sich schreiben, das ist die Version, die man bei geschlossener Tür schreibt. Vor der zweiten Version sollte man Vertrauten das Manuskript zum Lesen geben. Und dann um zehn Prozent kürzen. Immer. Er stellt kleine Aufgaben und bittet darum, ihm das Ergebnis zuzuschicken. Leider ist die Website offline.
Was bringt es? Es ist so großartig, der Geschichte eines so erfolgreichen Autors zu folgen, in seine Gedankenwelt eintauchen und seinen Empfehlungen nachzukommen. King ist King.
„Wie man einen verdammt guten Roman schreibt” von James N. Frey (1998)
Wer ist der Autor und warum sollte man ihm seinen Rat abnehmen? Die Erfolge seiner drei Romane liegen zwar schon ein wenig zurück, dafür ist dieser Schreibratgeber von James N. Frey zum Longseller geworden. Seit 1998 lehrt er uns die Grundregeln des Romanschreibens. An der University of California (wer kennt noch die UCLA-Shirts?) unterrichtet er Creative Writing, Schwerpunkt: Krimis.
Was rät er? Er lehrt uns, dass Figuren – er nennt sie „Homo fictus“ – zwar lebensnah sein müssen, aber nicht wirklich echt, denn das wäre viel zu langweilig. Dass man seine Figuren interviewen muss, um herauszufinden, was sie denken und wie sie handeln. (Oh, da kommt mir eine Idee: Vielleicht sollte man ihnen den berühmten Proust-Fragebogen vorlegen.*) Er sagt, dass der Homo fictus Konflikten ausgesetzt und Qualen leiden muss. Er/sie muss für das Ziel kämpfen. Und er erzählt von der „Prämisse“, der man seine Geschichte unterordnen soll. Eine „Prämisse“ ist eine Art Moral, auf die die Geschichte zuläuft. Jede Szene wird ihr untergeordnet. Lautet etwa die Prämisse: „Liebe führt zu großem Glück“, sollte jede Szene daraufhin überprüft werden, ob sie diese Prämisse unterstützt. Der Ausflug mit dem Auto und die Landschaftsbeschreibungen können getrost gestrichen werden, die glücklichen Stunden mit dem nachgeborenen Bruder, dessen Naivität die Hauptfigur anrührt, hingegen nicht.
Noch bemerkenswert: Er sagt, eine Geschichte fängt immer kurz vor dem Knall an. Etwa: Jemand wird gefeuert – das lässt uns kalt. Lernen wir die Person als liebevolle, alleinerziehende Mutter von drei Kindern kennen, haben wir Mitleid – und schon sind wir in der Geschichte drin. Und: Er rät zum groben Plotten.
Was bringt es? Ein herrlicher Lesegenuss mit vielen praktischen Beispielen. Ob man das allerdings so akademisch und vorausplanend durchzieht? Einen Versuch ist es wert.
* https://bernd-lange.de/der-fragebogen-von-marcel-proust
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AUTORIN DIESES BEITRAGS:
Bettina Hennig
Bettina Hennig lebt in Hamburg. Sie ist Journalistin, Autorin und Dozentin. Bekannt wurde sie durch ihre historischen Romane „Luise – Königin aus Liebe“ über Preußens Kultkönigin Luise und deren Schwester Friederike „Friederike Prinzessin der Herzen“ (beide Goldmann). Sie gilt als Expertin für Adel. Ihr narratives Sachbuch „Ich bin dann mal vegan – glücklich und fit und nebenbei die Welt retten“ (S. Fischer) landete auf der Bestseller-Liste des Spiegel. Ihr praktisches Wissen vermittelt sie gerne in Schreibseminaren. Seit 2008 ist sie Mitglied bei DELIA.
Insta: @bettina_hennig