Die Sonne brennt von einem beinahe wolkenlosen Himmel herab, die Außentemperatur geht auf die 36 Grad zu, in meinem Arbeitszimmer wabern schweißtreibende 28 Grad. Ich liebäugele mit einem Eiswasserbad für meine Füße, das unter dem Schreibtisch durchaus früher schon mal Platz gefunden hat. Schräg neben mir surrt leise der große Ventilator, der mich vor der völligen Überhitzung und mein Gehirn vor dem Gerinnen bewahrt. Mit anderen Worten: Der Sommer hat das Land fest im Griff, obwohl es gerade einmal Juni ist.

Die Bilder in meinem Kopf könnten allerdings nicht gegensätzlicher zu dieser Szenerie sein, denn gedanklich – und schreiberisch – befinde ich mich gerade im Advent, genauer gesagt auf einem verträumten Weihnachtsmarkt mit Schnee, Lichterschein, Glühwein, heißen Maronen und den vielfältigen typischen Düften, die solch ein Markt mit sich bringt. Gebrannte Mandeln, Reibekuchen, gebratene Champignons und Currywurst umspielen die Nase und locken zu den unzähligen Foodtrucks und Imbissständen. Aus versteckten Lautsprechern erklingt eine Kakophonie aus deutschen, englischen und sogar französischen Weihnachtsliedern, teils klassisch, teils modern.

An dem altmodischen Karussell gleich links neben dem mit Tannengirlanden und Lichterketten geschmückten Rundbogen, durch den man den Weihnachtsmarkt betritt, drehen sich lachende Kinder auf hölzernen Pferdchen oder in bunten Kutschgondeln zu „Morgen, Kinder, wird’s was geben“ im Kreis, während genau gegenüber an dem Stand mit den Adventskränzen „Frosty The Snowman“ dudelt.

Ein paar Schritte weiter, an einer Bude mit mundgeblasenem Weihnachtsschmuck, singt Mariah Carey aus vollem Herzen „All I Want For Christmas Is You“, und man fragt sich spontan, ob es nicht eigentlich „your money“ heißen müsste, wenn man sich die gepfefferten Preise für den zauberhaften Baumschmuck so betrachtet. Ein paar Schritte weiter, hier kommen wir den wohlduftenden Imbissständen schon sehr nahe, träumt Bing Crosby von „White Christmas“, und als hätte der Wettergott ein Einsehen, beginnt es just in diesem Moment leicht zu schneien. Die Musicbox am Glühweinstand verkündet denn auch passenderweise „Schneeflöckchen, Weißröckchen“.

Mit Tüten und Taschen bepackte Menschen schlendern zumeist paarweise oder in kleinen Grüppchen von Stand zu Stand, bilden Trauben um die Lokalitäten mit Fressalien oder heißen Getränken. Gelächter und Stimmengewirr liegt in der Luft, und in dem kleinen Bierzelt, in dem man trockenen Hauptes sitzen und essen kann, wird sogar geschunkelt. An jeder Ecke stehen bunt geschmückte Tannenbäume, warmweiß schimmernde LED-Lichterketten lassen Buden, Trucks, Zelte und die provisorischen Zäune, die den Weihnachtsmarkt begrenzen, in einem heimeligen Lichtermeer erstrahlen.

Auch in und vor den Wohnhäusern ringsum leuchten Sterne und Weihnachtspyramiden in den Fenstern, wird man von lachenden Weihnachtsmännern, skifahrenden Rentieren, hüfthohen, beleuchteten Zuckerstangen und noch mehr Lichterketten begrüßt.

Liebesromane mit weihnachtlichem Ambiente sind so etwas wie die Pflichtkür für Liebesromanautor*innen

Die Weihnachtszeit ist da, und Autor*innen, die etwas auf sich halten, müssen mindestens einmal im Leben (in der Regel deutlich öfter) einen Weihnachtsroman im Portfolio aufweisen.

Liebesromane mit weihnachtlichem Ambiente sind so etwas wie die Pflichtkür, und man sollte diese Kunstform nicht unterschätzen, denn sie erfordert eine Menge Fingerspitzengefühl. Sie sind vielfältig wie der Liebesroman selbst, können zeitgenössisch und historisch sein, ernst oder kitschig, fantastisch und sogar tragisch – zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Doch eines müssen sie in jedem Fall haben: ein Happy End. Oder doch zumindest ein versöhnliches, hoffnungsvolles Ende.

Gerade zu Weihnachten oder vielmehr in den Monaten davor, denn dieses Genre wird vorrangig zwischen September und Dezember verkauft, wollen sich die Lesenden in eine ganz besondere Art von Romanen hineinträumen. Weihnachten ist nicht nur das Fest der Liebe, sondern auch der Hoffnung. Das Jahr neigt sich seinem Ende zu, das kommende wirft seine Schatten bereits voraus und mit ihm leuchten auch schon die guten Vorsätze für das neue Jahr am Horizont, und der bevorstehende Jahreswechsel vermittelt ein mal unterschwelliges, mal eindringliches Hochgefühl: Im nächsten Jahr wird bestimmt alles besser und wunderbar!

Weihnachtsromane sind so vielfältig wie das Genre Liebesroman – aber sie brauchen Glitzer

Diese positive, hoffnungsgeladene Note ist eines der wichtigsten vereinenden Elemente aller Weihnachtsromane, auch wenn sie ansonsten durchaus grundverschieden sind. Der Plot umfasst wie bei jedem Liebesroman mindestens zwei Menschen (je nach Konstellation natürlich gerne auch mehr), die sich ineinander verlieben. Welcher Trope dabei zugrunde liegt, ist dabei nicht nebensächlich, kann aber eben variieren. Grenzen sind hier keine gesetzt. Wichtig ist nur eins: Ein Weihnachtsroman braucht Glitzer! Ob inhaltlich, im übertragenen Sinne oder auch ganz einfach optisch auf dem Cover.

Weihnachten ist für viele Menschen eine besondere Zeit, besinnlich und stressig zugleich, eine Zeit, in der Familie und Freunde in den Mittelpunkt rücken, in der es kuschelig, gemütlich und wohlig-heimelig wird. Wir backen Plätzchen, decken uns mit Lebkuchen, Pfeffernüssen und Dominosteinen ein, ignorieren ausnahmsweise mal die vielen bösen Kalorien, die uns den Rest des Jahres heimlich über Nacht die Kleider enger schneidern.

Ein Weihnachtsroman trägt dieser besonderen, liebenswerten Stimmung und Wohlfühlatmosphäre stets auf die eine oder andere Weise Rechnung. Wir lesen, wie eingangs dieses Artikels, von Weihnachtsmärkten, verschneiten oder zumindest mit Raureif überzuckerten Landschaften, Rezepten, die uns das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen, und von Familie, Freundschaft und natürlich der Liebe – am liebsten der ganz großen, die ein Leben lang hält, zuweilen große Hürden, Zeitspannen und manchmal gar die Ewigkeit überdauert.

Große Gefühle sind im Weihnachtsroman genau richtig und können vielfältig verpackt sein

Manch ein Weihnachtsroman ist leicht und lustig, fröhlich und beschwingt und erinnert uns an die unzähligen Weihnachtsfilme im Fernsehen. Ein anderer hingegen wurzelt tiefgründig, entführt in das nicht immer einfache, manchmal sogar sehr traurige Seelenleben von Figuren, die sich durch den Geist der Weihnacht den Menschen wieder öffnen und die Liebe in ihr Leben zurückkehren lassen. Einige Weihnachtsromane sind wiederum richtig heiß, ebenso wie die männlichen oder weiblichen Figuren auf den Covern, und versprechen neben der Wärme, die ein knisterndes Kaminfeuer zu zaubern weiß, auch prickelnde bis ungezügelte Leidenschaft.

Wieder ein anderer Weihnachtsroman spielt vielleicht mit märchenhaften Elementen, lässt Elfen, den Weihnachtsmann höchstpersönlich oder auch das Christkind auftreten oder den Geist eines lieben Verstorbenen. Auch Hunde, Katzen, Esel und viele andere Tierarten tummeln sich mit Vorliebe in weihnachtlichen Plots.

Die unzähligen Variationen und Spielarten des Weihnachtsromans bietet für jede Leserin und jeden Leser das Passende – sogar für diejenigen, die von sich sagen, dass sie Weihnachten eigentlich gar nicht mögen und sich als Grinch bezeichnen.

Existiert nun aber ein Patentrezept, um den ultimativen Weihnachtsroman zu verfassen?

Vermutlich nicht.

Im Grunde schreibt sich ein Weihnachtsroman ganz genauso wie jeder andere Liebesroman. Man plottet den Aufbau der Geschichte (je nach persönlicher Arbeitsweise mal mehr, mal weniger), legt ein Figurenensemble an, das im Lauf des Schreibens durchaus schrumpfen oder wachsen kann, und recherchiert alle sachlichen und fachlichen Themen, die der Geschichte zugrunde liegen oder in ihr auftauchen. Dann legt man los.

Zuweilen schwierig kann es allerdings werden, wenn man wegen entsprechender Abgabetermine und zeitlicher Planungen besagten Weihnachtsroman ausgerechnet mitten im Hochsommer bei schweißtreibenden Temperaturen zu Papier bringen muss. Sich in dieser Situation so intensiv in den Winter zu versetzen, dass man eine Szene wie die eingangs dieses Artikels glaubhaft formulieren kann, sodass die Lesenden niemals im Leben auf den Gedanken kommen würden, man hätte sie nicht praktisch direkt unter dem Weihnachtsbaum verfasst, ist die wahre Kunst, wie ich finde. Zwar gibt es auch den umgekehrten Fall, dass man einen sonnigen Urlaubsroman mitten im Winter schreiben muss, dennoch halte ich das Schreiben von Weihnachtsromanen mitten im Sommer für die größere Herausforderung. Glücklich ist, wer die Schreibzeit in eine andere Jahreszeit, am besten sogar direkt in die Adventszeit verlegen kann.

Ein Weihnachtsroman transportiert so viel mehr als nur die in ihm enthaltene Liebesgeschichte.

Er verkörpert Traditionen – alte wie neue –, wärmt das Herz, legt sich wie eine flauschige Decke um die Schultern der Lesenden und hinterlässt auf der letzten Seite diesen hoffnungsfrohen Glanz auf der Seele. Dieses Funkeln der Sterne am winterlichen Firmament, während die Luft eisig klirrt und der Atem in kleinen Wölkchen vor dem Mund steht.

Ein Weihnachtsroman braucht nicht nur, wie jeder Liebesroman, viel Empathie und das kenntnisreiche Zeichnen der Figuren, sondern erfordert besondere Sorgfalt beim Entwerfen der winterlich-weihnachtlichen Atmosphäre, ganz gleich, ob er in den verschneiten Bergen, an der rauen See oder im sommerlichen Australien spielt.

Ein Weihnachtsroman aktiviert Erinnerungen und Wünsche, im besten Fall die allerschönsten

Die Lesenden wollen sich nicht nur wohlfühlen, sondern sich in die kindliche Vorfreude auf Weihnachten zurückversetzt fühlen, selbst dann, wenn Held und Heldin sich die meiste Zeit streiten, weil zufällig der Trope Enemies to Lovers es so verlangt, oder wenn die beiden Hauptfiguren von einer heißen, leidenschaftlichen Szene in die nächste rauschen oder wenn im historischen Kriegs- oder Nachkriegs-Weihnachtsroman die Familien der Hauptfiguren fast nichts haben, mal abgesehen von einander.

Der Zauber der Weihnacht muss sich in einem Weihnachtsroman manifestieren, auf die eine oder andere Weise. Alle Sinne wollen dabei angesprochen werden. Das Schöne dabei ist der Umstand, dass man dabei auf viele kollektive Erfahrungen zurückgreifen kann, auf Traditionen, auch wenn man sie absichtlich modernisiert oder verändert. Plätzchenduft ist dabei ebenso universell wie weihnachtliche Musik, ob es sich um den „Nussknacker“ handelt oder Whams „Last Christmas“, beides transportiert augenblicklich eine ganz eindeutige Stimmung, mit der man entsprechend spielen kann.

Die Beschreibung von weihnachtlich geschmückten Innenstädten oder Wohnungen und Gärten, am besten durch einzelne, ins Auge stechende Details, ist ebenso sachdienlich wie die Erwähnung oder das Erfinden ganz eigener (vor-)weihnachtlicher Traditionen, denen die Figuren gerne (oder weniger gerne) nachgehen und die die Lesenden in ihre eigene Erlebniswelt zurückführt, auch wenn sie vielleicht ganz anderer Art ist. Dabei fließt vermutlich immer einiges an eigenen Erlebnissen und Wünschen der Schreibenden hinsichtlich des perfekten Weihnachtsfestes in einen Weihnachtsroman mit ein. Wenn wir Autor*innen uns so richtig in der Atmosphäre unserer Geschichte wohlfühlen, werden es mit Sicherheit später auch die Lesenden tun.

Dabei gilt natürlich wie in jedem anderen Roman auch: Alles darf, nichts muss. Oder doch? Ein bisschen was muss in jedem Fall sein: Glitzer! Und wenn er sich auch nur in den glücklich leuchtenden Augen der Lesenden zeigt, nachdem sie das Buch mit einem zufriedenen Seufzen zuklappen.


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DIE AUTORIN DIESES BEITRAGS

Petra Schier

Petra Schier, geboren 1978, lebt mit Mann und Hund in einer kleinen Gemeinde in der Eifel (Kreis Ahrweiler). Sie studierte Geschichte und Literatur und arbeitet seit 2003 als freie Autorin.

Die historischen Romane der Spiegel-Bestsellerautorin erscheinen derzeit im Rowohlt Verlag und bei HarperCollins. Beliebt und ebenfalls sehr erfolgreich sind auch ihre romantischen Weihnachtsromane sowie Liebesromane, die bei HarperCollins sowie Weltbild verlegt werden.

Unter dem Pseudonym Mila Roth publiziert sie darüber hinaus verlagsunabhängig verschiedene erfolgreiche Agententhriller-Buchserien.

Mehr Informationen finden Sie auf der Website der Autorin: www.petra-schier.de

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